Was geschah mit Femke Star von Kerstin Ruhkieck [REZENSION]
Januar 31, 2019Klappentext
Jedes Mädchen hat ein
schmutziges Geheimnis. Jedes. Auch du.
Doch was würdest du tun,
wenn dein Geheimnis eigentlich meins wäre, und nur ich, nicht du, die Wahrheit
kenne?
Einst waren Femke und
Anouk beste Freundinnen, bis ein Verrat die beiden entzweite. Was blieb, war
die Hassliebe zweier Mädchen, die sich in unterschiedliche Richtungen
entwickelt hatten. Doch als Femke eines Tages Anouk um Hilfe bittet, kommt es
zu einem schrecklichen Unfall, der Anouks Leben für immer verändert.
Von hässlichen
Erinnerungsfetzen geplagt, versucht Anouk herauszufinden, was Femke widerfahren
ist, und stößt dabei auf eine Mauer des Schweigens. Und auch die Zeit arbeitet
gegen sie, als Anouk die Hauptverdächtige eines Verbrechens wird, das sie nicht
begangen hat...
***
Triggerwarnung: Dieses
Buch enthält mögliche Auslösereize, die bei Personen mit posttraumatischer
Belastungsstörung zu einer Verschlechterung ihrer Symptome führen können.
Was geschah mit Femke Star …
Puuuuuuuuuuhhhhh
Wie soll ich diese
Rezension nur beginnen? Ganz sachlich? Ok. Ganz sachlich.
Weshalb griff ich
überhaupt zu dem Buch, wo doch Jugendthriller
so gar nicht zu meinen Genres gehören?
Im Grunde mag ich Thriller
und Krimis nämlich gar nicht. Das
könnte an dem Hype dieser skandinavischen Thriller-Welle von vor ein paar
Jahren liegen. Ihr wisst schon: Dunkel, deprimierend, Betrunkener-aber-doch-sympathischer-Detektiv-mit-weiblichem-Side-Kick
–lastige Stories.
So viel vorweg (1): Was geschah mit
Femke Star ist ANDERS!
So viel vorweg (2): Ich werde bei
dieser Rezension nicht ohne Spoiler auskommen. Sobald der Spoiler losgeht,
packe ich eine dicke fette Warnung drüber. Das Fazit wird wieder Spoiler-frei
sein.
So viel vorweg (3): Wer das Buch lesen
möchte und eine absolut ungefilterte Erfahrung mit der Geschichte will, sollte
den Spoiler UNBEDINGT überspringen.
Okay … los geht’s!
I mean … das Cover ist ja
mal so was von … MEGA. HAMMER. WAHNSINN.
Da hat sich der DM-Verlag
(mal wieder) selbst übertroffen. Es fängt die Stimmung perfekt ein, hat ein
bisschen was Psychodelisches und überhaupt …
Die Schrift, der Titel, einfach alles
passt perfekt. Ich las den Klappentext und war – was eben am Genre liegt – erst
einmal nicht so heiß auf das Buch.
Aber irgendwie ließ es mich trotzdem
nicht los. Ich schlich immer wieder drum herum, bis ich es irgendwann auf
Amazon angeklickt und die Leseprobe gelesen habe.
Und dann … MUSSTE ich es einfach kaufen, weil ich
wissen wollte, wie es weitergeht. Kann einem etwas Besseres passieren? Nope.
Äh, Yes. Ich war gefangen in der Story, gefangen in Anouks und Femkes Gedanken
… aber eins nach dem anderen.
Von der Autorin, Kerstin Ruhkieck, habe
ich schon einmal ein Buch gelesen und … what shall I say? Die Autorin kann
grandios schreiben. Sie ist, meiner Meinung nach, ein Ausnahme-Talent. Ihr Stil ist grundsätzlich ernst, dunkel,
nachdenklich-machend, erwachsen. Alles Dinge, die ich schon mal sehr schätze, die
man (ich) aber nur in kleinen Dosen genießen kann. Ich kann keine fünf
Ruhkiecks hintereinander lesen (so gut sie auch geschrieben sein mögen), weil
jedes einzelne Buch lange nachhallt und einen gedanklich noch lange
beschäftigt.
Mein erstes Buch damals fing auch absolut
genial an, leider haperte es an der Logik (yes, still looking at YOU, Lektorat!!!)
und das Ende hatte mich
i-wie enttäuscht und deshalb hoffte und bangte ich auch bei Femke, dass die
Autorin das Ende nicht versemmelt.
Vorweg (4): Hat sie nicht! Das Ende
ist so wie es sein soll. Auch wenn einige von dem Ende enttäuscht sein könnten,
für mich war es perfekt!
Ein anderes Ende hätte sich einfach nicht
richtig angefühlt. Nicht, weil mich das Ende, wie es jetzt ist, mit einem guten
Gefühl zurücklässt (tut es nicht), sondern, weil die Wirkung, der Nachhall, des
Buches, nicht der wäre, der er jetzt ist (und sein soll!)
DANKE Kerstin! Danke, dass du dich dafür
entschieden hast, auch mit oder trotz der Sorge, dass Leser es nicht mögen
könnten. Ich lehne mich jetzt einfach mal so weit aus dem Fenster und behaupte,
dass die, die ein anderes Ende wollen, die Story und den Sinn dahinter nicht
verstanden haben (#sorrynotsorry, my Fellow Readers).
Mich hat das Buch sehr betroffen gemacht,
weil ich von der Problematik, die das Buch behandelt, zwar weiß, mir aber i-wie
nicht so recht bewusst war, welches Ausmaß so etwas annehmen kann, wie hoch der
Leidensdruck der Betroffenen ist/sein bzw. werden kann und wie hilflos die
Betroffenen ihrer Situation ausgeliefert sind.
Am Anfang lernt man die Freundinnen
Anouk und Femke kennen, die sich aufgrund eines Ereignisses auseinander gelebt
haben. Erst nach und nach erfährt man, wie es dazu kam.
Generell lebt die Spannung des Buches
davon, dass man, gemeinsam mit Anouk, relativ lange im Dunkeln bleibt und Seite
für Seite herausfindet, was eigentlich mit Femke Star geschah (erwähnte ich schon,
dass ich den Titel liebe?).
Die Szenen sind recht explizit
beschrieben – also nichts für schwache Nerven – aber trotzdem nie
Effekt-hascherisch. Selbst die richtig krassen Dinge (die, die das Buch kennen,
wissen, dass ich mich nicht auf die leicht ekligen Szenen des Anfangs beziehe)
sind eindeutig und ungeschönt, jedoch auf eine Weise beschrieben, dass man zwar
schockiert und betroffen ist, sich aber nicht unwohl fühlt (falls ihr wisst,
was oder wie ich das meine …).
Die Autorin hat sowohl die
Freundschaft der beiden Mädchen, als auch die beginnenden Veränderungen und
unterschiedliche Entwicklungsrichtungen, die die Pubertät mit sich bringt, sehr
gut und nachvollziehbar rübergebracht. Umso trauriger wird man, wenn man am
Ende den Grund für den Bruch dieser innigen und unschuldigen
Mädchenfreundschaft erfährt.
Was mir auch sehr gut
gefallen hat, ist, dass Kerstin Ruhkieck auf simple Schwarz-Weiß Zeichnungen
verzichtet und alle Aspekte beleuchtet. Das macht diese Geschichte so viel
gewichtiger und tiefgründiger, als sie aufgrund des schweren Themas sowieso
schon ist.
Well
done!
Das Buch hat – gerade
am Anfang – einige Längen. Die braucht es aber meiner Meinung nach und sind ein
Stilmittel. Macht Stephen King auch so.
An alle Ungeduldigen
unter uns: LEST TROTZDEM WEITER!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
ACHTUNG JETZT GEHT THE BIG GESPOILERE LOS
Die Geschichte spricht einen extrem
wichtigen und, wie ich finde, krankenden Aspekt unserer Gesellschaft an.
Ich bin schockiert, wie viele Freundinnen und
Bekannte mir in Gesprächen erzählt haben, dass sie alle – I mean ALLE – auch
schon Erfahrungen in die Richtung gemacht haben. Nicht so krass, wie in dem
Buch, aber trotzdem alltägliche Übergriffe.
Dinge, die ihnen in der Schule
passiert sind, die sie heute noch beschäftigen. Berührungen, Übergriffe,
Kommentare … dann die Scham … und dann noch die „sehr hilfreichen“ Kommentare
von Lehrern und Vertrauens(!)Lehrern, die ihnen sagten, das das ja alles gar
nicht so schlimm wäre und ob „sie dem armen Jungen denn wirklich die Zukunft
verbauen wollen“.
Ich bin sprachlos!
Neulich sind eine Bekannte und ich für
eine WG-Party zusammen einkaufen gegangen. Ich ließ sie vor der Ladentür raus,
um nach einem Parkplatz zu suchen. Wir
trafen uns im Laden und gingen nach dem Einkauf gemeinsam zum Auto zurück.
Auf der Fahrt war sie ungewöhnlich schweigsam, aber ich habe mir erst nichts
dabei gedacht. Nach ein paar Blocks sagte sie dann mit einem verlegenen Lachen:
„Schon komisch. Früher wäre mein ganzer Tag im Eimer gewesen, mittlerweile
gehen mir solche dummen Sprüche am Arsch vorbei.“
Als ich sie fragte, was
passiert wäre, erzählte sie, dass vor dem Eingang eine Gruppe Halbstarker
stand, die ihr, als sie an ihnen vorbei lief, „Fickie-fickie-fickie“
nachgerufen hätten.
Was zum Teufel soll das denn überhaupt
bedeuten? And WHY? Ich meine … WHY?????
Ich wollte schon
zurückfahren, um die Vollhorste zu konfrontieren, aber sie hielt mich ab,
sagte, es wäre ja nichts und dass so eine Aktion dem ganzen viel mehr Bedeutung
geben würde, als diese Idioten es verdient hätten. Leider ließ ich mich
überreden. Inzwischen bereue ich es.
Ich bin wirklich kein Verfechter von
Gewalt aber solche Typen sollen mal lernen, dass so etwas negative Konsequenzen
haben kann (wie z.B. ein blaues Auge oder ein paar rausgeschlagene Zähne. Yes,
I said it!).
Denn schon ein
„Fickie-fickie-fickie“ ist meiner Meinung nach eine Form von Missbrauch.
Wollen wir in einer Gesellschaft von
traumatisierten Frauen und Mädchen leben? Wollen wir beim Joggen von Frauen
misstrauisch als „the-next-Serienkiller“ beäugt werden? Also, ich nicht!
Ich denke, das ist eine Debatte,
die sich nicht in ein paar wenigen Sätzen lösen oder ausdiskutieren lässt. Aber
ein Bewusstsein dafür zu entwickeln ist schon einmal ein Schritt in die
richtige Richtung und Kerstin Ruhkiecks
Buch liefert dazu einen Grundstein.
Ich bin überrascht, dass ganz oft gerade
Frauen eine unheimlich harte und empathielose Haltung dem Thema und Opfern
gegenüber haben.
Dass sie (wie ich in einer
Rezension gelesen habe) das Buch überzogen und unrealistisch finden und auch im
Alltag oft den Frauen die Schuld geben mit Sprüchen wie „sie hat es ja
provoziert“ oder „wer sich so kleidet, darf sich nicht wundern“.
Ist doch scheißegal, was ein Mädel
trägt.
Oder wenn sie flirtet,
später aber merkt, dass sie doch nicht weiter gehen will. Ja nu, ist zwar in
dem Moment blöd (trust me, been there, done that!), aber es ist ihr Recht die
Reißleine zu ziehen.
Das sollte eigentlich selbstverständlich
sein.
Fazit (wieder spoilerfrei):
Ich fand die Geschichte
alles andere als unrealistisch und überzogen. Traurigerweise kann ich mir
durchaus vorstellen, dass so etwas passieren kann – mit all den dunklen
Facetten, die das Buch aufgreift.
Die Geschichte Was geschah mit Femke Star ist ein
aufrüttelndes, schockierendes Buch, dass jeder lesen sollte, der bereit ist,
sich auf ein – leider noch – Tabuthema in unserer Gesellschaft einzulassen, keine
Angst davor hat, dass dieses Buch einen emotional
und gedanklich an seine Grenzen treibt
und einen noch eine ganze Weile beschäftigt.
Ich würde sogar so weit
gehen und sagen, dass dieses Buch ein Umdenken in einem bewirken kann und einem
die Augen öffnet.
Die Trigger-Warnung sollte man, btw,
ernst nehmen.
DANKE, Kerstin Ruhkieck, für
diese absolut krasse Geschichte. DANKE,
dass das Ende so ist und nicht anders. Einfach
DANKE!
Fünf Sterne mit
Extra-Glitzer obendrauf.
Euer
John
1 Kommentare
Klingt nach einem guten Buch. Werde es mir dann wirklich holen. Habe bisher noch gezögert.
AntwortenLöschenSPOILERALERT
Zu den expliziten Inhalten und Leserinnen, die da sehr harte Kritik üben: SPOILERALERT
In meiner Fantasy-Geschichte geht es ja auch eine missbrauchte Protagonistin und es schrieb tatsächlich Mal jemand offensichtlich eine leserIN) in eine sehr negative Kritik "die Protagonistin leidet mir zu viel Rum". Das bezog sich eben auch auf einen Charakter der sehr zurückgezogen und schweigsam nicht preisgeben wollte, was wirklich geschehen war. Und ich gebe dir vollkommen Recht, wenn diese Geschichten unsere Gesellschaft kalt lassen ... Wow! Dann sind wir aber sehr weit weg von Menschlichkeit.
Spoiler-ende
Auf jeden Fall danke für die ausführliche Rezension. ��